Der Marillendoktor
Erich Knoll

Von der Frucht mit dem harten und dem Mann mit dem weichen Kern

Mit ihm lässt es sich herrlich fachsimpeln. Wie sollte es anders sein.
Erich Knoll war Professor am Gymnasium und darauf geschult, seine Schüler zum profunden Nachdenken zu veranlassen.
Über alles Mögliche.
Auch jetzt, wo er in Pension ist, hat seine Begeisterungsfähigkeit nicht nachgelassen. Dabei begeistert er andere und auch sich selbst mit seinem liebsten Hobby: dem Anbau der Vinschger Bergmarillen. Seit Jahrzehnten geht er diesem Hobby auf den sandigen Böden im Vinschger Naturns nach. Auf den ca. 6.500 m2 stehen 450 Marillenbäume, zum Großteil von der Sorte Orangered.
Ganz bewusst hat sich der Akademiker für diese sehr früh blühende Sorte entschieden. „Meine Frau Sabine und ich lieben ihren intensiven und frischen Geschmack. Schon beim ersten Biss in ihr saftiges Fruchtfleisch überzeugt die Sorte Orangered.“ Somit eine pure Bauchentscheidung, nicht vom Verstand diktiert. Denn Erich weiß sehr wohl, welchen Risiken eine früh blühende Sorte ausgesetzt ist.
 
 
„Der größte Antagonist der Marille ist der Frost. Schon minus 1 Grad während der Blüte können die ganze Ernte vereiteln.“
 
„Der größte Antagonist der Marille ist der Frost. Marillenkulturen blühen viel früher als Apfelbäume. Das Risiko, mit der Marillenblüte direkt in eine späte Frostperiode zu geraten, ist jedes Jahr sehr groß. Kurz vor der Blüte halten die Bäume auch kalte Nächte bis minus 5 Grad aus, aber wenn meine Marillen mal blühen, können schon minus 1 Grad die ganze Ernte vereiteln.“ Der mittlerweile sehr erfahrene Marillenbauer spricht dabei von „verbrannten“ Blüten, die ausdörren und keine Früchte mehr ergeben werden. Mit dem Anbau der Sorte Orangered ist dieses Risiko noch größer, wenn allerdings alles gut geht, sind seine Früchte Ende Juni die ersten auf dem Markt.
Andere Sorten sind dann noch nicht verfügbar und Erichs orangeroten Lieblinge ernten reißenden Absatz. Wohlgemerkt, wenn alles gut geht. Erichs Leidenschaft für die empfindliche und süße Naturfrucht wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, eher entstand sie durch einen
Wink des Schicksals. Sein Vater vererbte ihm Apfelwiesen, er wollte aber lieber Marillen anbauen. Auf Biegen und Brechen in einer Lage nahe der Etsch, von der jeder Experte eher abriet. Wieder so eine Bauchentscheidung á la Erich Knoll. „Ich wurde damals von vielen gehänselt. Dort könnte man nur Äpfel anbauen. Marillen…unmöglich. Nur ein altes Mütterchen bestaunte damals mein Vorhaben. Sie konnte sich noch vage daran erinnern, dass an diesem Standort in ferner Zeit schon mal Marillen geglänzt hatten. Die Worte dieser unbekannten Passantin flößten mir Mut ein.“ Erich fühlte sich in seinem Bestreben bekräftigt, es allen zu beweisen. Der „Marillendoktor“, wie ihn mittlerweile viele sarkastisch nannten, würde es ihnen schon zeigen. Ein nichtsahnender Gymnasiallehrer, der plötzlich groß auf Bauer spielen wollte und entgegen aller Ratschläge besserwisserische Allüren an den Tag legte…für den war so ein Titel gerade wie angegossen.
 
„Nach so vielen Jahren, in denen ich meiner Leidenschaft treu geblieben bin, muss ich zugeben, ich würde wahrscheinlich alles wieder genauso machen. Aber so ganz unrecht hatten meine Kritiker von damals wohl nicht.“ gibt Erich ehrlich zu. Denn unter die vielen erfolgreichen Erntejahre, die von glänzenden Mengen und überdurchschnittlichen Qualitäten zur Freude der Konsumenten gekennzeichnet waren, mischten sich auch viele enttäuschende Jahrgänge. Frostbedingte Ernteausfälle taten sehr weh. Ihm und seinen Bäumen. Aber Leidenschaft ist kein Gemütszustand, der vom Verstand gesteuert wird, wohl eher eine blinde Kraft, die beim Marillendoktor Erich Knoll besonders stark ausgeprägt ist und auch den meisten Vinschger Bauern angeboren ist. 
„Ja, ich würde es alles nochmal genauso machen. Meine Hingabe hat mich der Natur so nahegebracht, dass ich diese Beziehung zu ihren Kräften niemals missen möchte. Sie hat mich meist belohnt, manchmal auch zu Unrecht bestraft. Oder vielleicht zu Recht, weil ich nicht immer intensiv genug auf sie eingegangen bin?“, fragt sich Erich melancholisch. Eine Bereitschaft, sich in die Bedürfnisse seiner Früchte einzufühlen, die heute mehr denn je vom Marillendoktor verlangt wird, denn Erich ist seit zwei Jahren sogar biozertifizierter Marillenbauer. Eine Auszeichnung, die einen langen Weg hinter sich hat und mit der sich nicht alle brüsten können. 
Ansitz Gurtenhof

Sabine und Erich Knoll vermieten in Tisens bei Meran Ferienwohnungen auf ihrem historischen Bio-Bauernhof. Der denkmalgeschützte Ansitz Gurtenhof lädt zum ankommen, sich zuhause fühlen, abschalten und Kraft schöpfen ein. Hier kann man das Flair vergangener Tage genießen.
 
Der Doktor schwärmt für seine Marillen, vor allem in schwierigen Jahren wurde die Beziehung zwischen beiden noch inniger. Nicht umsonst ist die Marille für Erich in jeglicher Hinsicht auch weiblich. „Alles an ihr ist wunderbar feminin. Erstens wird sie im Unterschied zum Apfel ohne Stängel geerntet, zweitens wird sie schüchtern rot an den Backen, wenn sie im Rampenlicht steht, sprich Richtung Sonne wächst und drittens muss man sie sehr delikat behandeln. Man soll nicht wild in sie reinbeißen, sondern sie zuerst öffnen, entkernen und dann erst vernaschen.“ lacht Erich selbstzufrieden metaphorisch. So gesehen ist der Marillendoktor eher ein Gynäkologe, Erich selbst sieht sich allerdings mehr als Sportmediziner.
Denn für den Anbau von Marillen bedarf es einfühlsamer Diagnosegespräche, eines langen Atems und der Fähigkeit, Niederlagen verkraften zu können. Nur die naturgegebenen Besonderheiten des Vinschgaus mit seinen kargen Niederschlägen, den über 300 Sonnentagen und den hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht erlauben noch den sinnvollen Anbau dieser so sensiblen Frucht, während viele andere Anbaugebiete bereits resigniert haben. Im „Verein der Vinschger Marillen“ bildet sich auch der Marillendoktor regelmäßig weiter, trifft auf gleichgesinnte kleine Produzenten und vor allem auf Menschen, die von derselben Leidenschaft durchdrungen sind.
„Alles an der Marille ist wunderbar feminin. Sie wird ohne Stängel geerntet, sie wird schüchtern rot an den Backen und man muss sie sehr delikat behandeln."
Wenn dann im Juli, circa drei Wochen nach dem Höchststand der Sonne, Erichs zweite Sorte, die intensiv aromatische Goldrich geerntet wird, steht der Marillendoktor mit seiner Frau Sabine, den beiden Töchtern Katharina und Annabel und vielen faszinierten Gästen des Gurtenhofs wieder auf seinen Marillengärten im Vinschgau seinen Bauer. Leidenschaftlich und voller Vorfreude. Das dunkelgelbe Fruchtfleisch steht zum Genuss bereit und die Vinschger Bergmarille verführt erneut mit ihren weichen, saftigen und alpinen Reizen. Wehe dem, der ihre weibliche Vinschger Sensibilität nicht zu schätzen weiß!
 

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