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Die Süßkraft im Nationalpark
Der Kreislauf des Cevedale
Philipp Brunner
Betriebsleiter der Marteller Erzeugergenossenschaft und zuständig für die Qualitätsprüfung, die Verpackung und den Transport der roten Köstlichkeiten
Wenn die Plima mit dem Schmelzwasser der Zufallspitze den Marteller Stausee füllt und das Martelltal mit sauerstoffreichem Lebenselixier versorgt, würde sie gerne auch die fruchtbaren Vitamingärten benetzen, die sich auf beiden Uferseiten entlang der steilen Hänge Tal auswärts befinden. Was für einen schillernden Cocktail würde es abgeben, wenn sich Cevedale-Eis mit dem natürlichen Zucker der satt roten Erdbeeren mixen würde, die sich entlang der Plima als wahre Bodenschätze anbieten. Allerdings bevorzugen es die circa 20 Erdbeerbauern aus dem Vinschger Seitental, das Wasser aus dem Ortlermassiv sehr sachte und wo möglich über Tropfberegnung zuzuführen. Die starke Sonne, vor allem während der Erntezeit, fördert die gesunde Reifung der Früchte und sorgt für das unverwechselbare Aroma der Bergerdbeere. Diese streckt mit großer Neugier ihr Haupt unter dem grünen Blattwerk hervor und sucht ununterbrochen nach dem wärmenden Strahl. Langsam und leise wächst sie heran, so als ob sie die Ruhe im Nationalpark Stilfserjoch nicht stören möchte. Vielleicht auch, um möglichst unbeobachtet vor nahen Waldbewohnern sicher zu sein. Denn Nager, Vögel und verschiedenste Kleintiere wissen genau, wie wohltuend die Kohlenhydrate der auffälligen Erdfrüchte sein können.
Die ersten Beeren werden bei einer Meereshöhe von 900 Metern schon ab Mitte Juni reif, jene hoch oben im Marteller Talschluss können bis hinein in den Spätsommer geerntet werden. Nicht nur einmal, sondern fünf bis sieben Mal dürfen die fleißigen Hüter und Beschützer der Marteller Edelfrucht durch ihr Feld suchen, bis alle Vitaminträger vorsichtig mit ihrem kleinen grünen Blätterkranz entfernt sind. Unter der oft glühenden Sonne während der Ernte leuchten die roten Beeren aus dem grünen Blattwerk hervor. Immer wieder ein freudiger Anblick, bei jeder Beere, die aus ihrem Versteck geholt wird. Allerdings eine sehr anstrengende Arbeit, die nicht viele Freiwillige anzieht und auch gut bezahlte Arbeitskräfte nicht in Schwärmen anlockt. Auch deshalb hat die Zahl der Erdbeerbauern in den letzten Jahrzehnten abgenommen. Die je nach Sorte längliche, rundliche oder kegelförmige Genussfrucht hat im Südtiroler Martelltal seit Jahrzehnten ihre Wahlheimat gefunden, spielt aber manchmal vielleicht genau aus diesem Grund das verwöhnte Kind. So will sie nicht zu oft in den Arm genommen werden.
„Unsere Mitglieder pflücken die ca. 20 Gramm schweren Früchte direkt in die Körbchen für den Verkauf. Je weniger man die empfindlichen Kostbarkeiten angreift, desto unbeschadeter gelangen sie zum Endverbraucher.“, erklärt Philipp Brunner. Philipp ist Agronom und Betriebsleiter bei der MEG, der Marteller Erzeugergenossenschaft, die heuer ihr 30-jähriges Bestehen feiert.
Wie jede Schönheit, erfährt auch die exklusive Marteller Erdbeere über ein prestigeträchtiges Fest ihren jährlichen Höhepunkt der Anbetung, sozusagen ihre ganz persönlichen „Strawberry Awards“ mit dem Erdbeerfest Ende Juni. Für Produzenten sowie „Vernascher“ stellt es den Startschuss in die Erdbeersaison dar. Ab diesem Moment wissen alle Vitamin-Junkies: Die Beeren sind los.
Für die schonende und makellose Anlieferung der Beeren sind die einzelnen Produzenten selbst verantwortlich, für die Aufarbeitung, sprich Qualitätsprüfung, Verpackung und den Transport des natürlichen Süßkraftspenders die Genossenschaft MEG. Seit 2014 hat der Verband der Vinschger Produzenten in Latsch (VI.P) den Verkauf des süßen Imageträgers mit hohem Vitamingehalt übernommen. Treue Apfelkunden sind bereits seit Jahrzehnten auch treue Erdbeerjäger. Sobald die Natur im Martelltal ihre Süßkraft freigibt, tummeln sich die Erdbeer-Scouts telefonisch oder höchst persönlich Richtung „Cima Cevedale“ und fordern fixe Mengen an gleichbleibender Qualität und Größe.
„Das ist nicht immer einfach. Unsere Genossenschaftsmitglieder arbeiten auf unterschiedlichen Meereshöhen. Somit reifen die Früchte zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich schnell heran. Zudem sind mehrere Sorten im Anbau, die sich ebenso ungleichmäßig verhalten. Letztlich entscheidet dann das Wetter über die täglich verfügbare Menge. Man möchte beim Kunden alle Versprechungen einhalten bzw. mehr Zusagen machen, aber die Natur entscheidet selbst, wie schnell sie sich von ihrer Zuckerkraft trennt.“, so Philipp Brunner.
Die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht garantieren das bergtypische Aroma, das sich im Duft anmeldet und im Geschmack dann bestätigt. Doch Aroma ist nicht gleich Zucker. So sind die Beeren aus den ersten Pflückgängen normalerweise größer und weniger süß, als jene aus späteren Erntegängen. Denn sobald die Natur sich dafür entscheidet, kleinere Beeren heranwachsen zu lassen, erhöht sie im Gegenzug die Dosis an Zucker. In allen Erntestadien ist eine Eigenschaft omnipräsent: das Marteller Bergaroma.
„Der richtige Erntezeitpunkt ist fundamental. Erdbeeren müssen im Stadium der Vollreife gepflückt werden. Sie können im Unterschied zu Äpfeln oder Bananen nicht nachreifen. Werden sie grün gepflückt, bleiben sie grün. Nur der Kunde ärgert sich dann blau.“ Deshalb müssen Erntehelfer gut geschult werden.
Faszinierend wie ehemalige Milchbauern durch einen risikofreudigen Entschluss vor Jahrzehnten den Weg des Vitaminanbaus auf vegetarische Weise gewählt haben und dabei keine Mühen gescheut haben. Einige der MEG-Mitgliedsbauern leben sogar zu 100% von der Erdbeerenernte in den Sommermonaten, andere bauen noch Gemüse und andere Beeren an oder haben am Hof noch Milchkühe. Auf jeden Einwohner von Martell entfallen in guten Jahren an die circa 500 kg Erdbeeren, zu viel für die eigene Geburtstagstorte aber oft zu wenig für fordernde Großkunden, die jeden Tag am liebsten 1.000 kg abnehmen würden, um das urige Martelltal als fixen und kontinuierlichen Erdbeerlieferant zu listen. Die Konkurrenz aus dem Inland und Ausland ist in der Menge groß, im Aroma bescheiden. Hier hat der Nationalpark Stilfserjoch durch seine einzigartige Lage und sein abgeschottetes Gletscherklima ein natürliches Wohlfühlambiente für die Süßkraftspender geschaffen, von denen andere Gebiete gern schlecken würden. Ein exklusives Erlebnis sind daher nicht nur die Früchte selbst, sondern ebenso die landschaftlichen Reize des Territoriums am Fuße des Ortlermassivs, in dem sie glücklich heranwachsen. Dieses Glück wird jedes Jahr weit über die Grenzen Südtirols hinaus in Form von Erdbeeren de luxe verstreut und regeneriert sich Jahr für Jahr auf ein Neues. Im Kreislauf des Cevedale.