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Im Kleinen Großes bewirken

Gemeinsame Rückkehr zu unverfälschten Wegen

Was haben Kleiner Wiesenknopf, gemeine Pastinake, wilde Petersilie, Spitzwegerich und Wiesenkümmel gemeinsam? Sie gehören seit Jahrzehnten zum Vinschger Landschaftsbild entlang der Wege, die auch an den vielen Obstwiesen vorbeiführen. Sie bereichern den Boden, lockern ihn auf, spenden Nahrung und Unterkunft für verschiedenste Lebewesen. Allerdings sind sie mancherorts nicht mehr so häufig anzutreffen wie früher. Sowohl auf privaten Grundstücken als auch auf jenen der öffentlichen Hand werden sie oft gerne der Ordnung wegen „wegrasiert“. So sehen die Wege einfach „aufgeräumter“ aus. Genau diese Sterilität störte die Biobauern Rudi Tappeiner und Kurt Gufler am öffentlichen Wiesenweg entlang ihrer privaten Obstwiesen. Der „zu aufgeräumte“ Weg am Ortsrand von Schlanders verläuft heute parallel zur vielbefahrenen Staatsstraße und verkörperte vor ca. 80 Jahren noch selbst die Hauptstraße durch den Vinschgau.

„Muss hier immer alles so aufgeräumt aussehen? Könnte man den Weg nicht lebendiger gestalten?“ Mit diesen Worten wandte sich Rudi an Klaus Bliem, dem Stationsleiter der Forstbehörde im Vinschger Hauptort Schlanders. Rudis Einwand stieß sofort auf offene Ohren. Auch Klaus war der Meinung, dass dem Weg eine leichte „Verwilderung“ guttun würde. Im Sinne der Biodiversität, die an sich allein schon Wert genug ist, und sicher auch im Sinne der vielen Vinschger Bauern, die entlang des Weges ihre Obstwiesen bewirtschaften und von wilden, „zeugungsfähigen“ Blühstreifen nicht nur optisch profitieren. Wenn es hier zum Beispiel am Wegrand stärker blüht, genießen die Bienen ein aufregenderes Buffet und die Befruchtung der Apfelbäume hat eine Erfolgschance mehr.

Die Sterne für eine kreativere Umgestaltung des ca. 800 Meter langen Weges standen günstig, nun galt es darum, sie vom Himmel zu holen. Da zeitgleich auch die Gemeinde Schlanders mit Monika Wielander Habicher (Gemeindereferentin für Umwelt) und mit Christine Kaaserer (Gemeindereferentin für Landwirtschaft) das Thema Artenvielfalt schon seit langer Zeit erfolgreich betreute und förderte, brauchte es zur lückenlosen Vernetzung aller lokalen Protagonisten nur noch die örtlichen Imker. Deren Vertretung übernahm prompt Marcel Schwarz. Auch er wurde mit ins Boot geholt, um die „alte Staatsstraße“ am Schlanderser Fernheizwerk wieder mit größerer Artenvielfalt zu beleben. Christine Kaaserer sprach vor Projektstart mit allen Anrainern entlang des Weges und letzte Zweifel bezüglich eventueller Verschattung durch die Anpflanzung neuer Stauden wurden ausgeräumt. So war breiter Konsens schnell gegeben, eine fruchtbare Basis für ein zielstrebiges Vorgehen geschaffen.

Auch die Aufgabenverteilung schien sich wie von selbst zu konfigurieren. „Wir von der Forstbehörde übernehmen standesgemäß das Setzen von Hecken“, so Klaus Bliem.

„Wir Bauern übernehmen die Aussaat von ausgewählten Samen zur Errichtung eines fruchtbaren Blühstreifens und packen beim Bau der Trockenmauern kräftig mit an“, ergänzte Leonhard Wellenzohn, Pionier des Vinschger Bioanbaus seit 1994. Die Koordination des Projektes „Ökologische Nische“ am öffentlichen Weg übernahm die Gemeindereferentin Monika Wielander und das Bauunternehmen Marx spendierte die Bruch- und Natursteine zum Anlegen der Trockenmauern.
„Wir müssen technisch gesehen zwischen Trockenmauern und Lesesteinhaufen unterscheiden...“ wollte Klaus Bliem am Tag der Umsetzung noch fachkundig erläutern, bevor die Vinschger vereint loslegen sollten. Aber dieses Detail schien den Anwesenden am großen Tag wohl zu technisch und zu theoretisch. Der stabile Aufmerksamkeitspegel war bei den von Tatendrang beflügelten Projektteilnehmern nicht mehr gegeben und Klaus konnte und wollte die praxisorientierten Helfer nicht weiter bei der Ausübung ihrer Mission bremsen. Schließlich ging es hier eindeutig darum, der Umwelt was Gutes zu tun. Über den hohen ökologischen Wert ihres Vorhabens waren sich alle Anwesenden bewusst, da war keine ideologische Einstimmung mehr nötig. Auch der kleine Jakob und Imker in spe wusste bereits, dass eine Trockenmauer mit ihren vielen Spalten und Fugen nicht nur Heimat und wärmendes Versteck für die Eidechsen bietet, sondern auch Spinnen und allen möglichen Insekten Unterschlupf gewährt. Bei der Erstellung der „Eidechsenburg“ wollte auch er unbedingt dabei sein. Ihre Bedeutung als großes Insektenhotel begreift auch ein Kind auf Anhieb. Dass die darin lebenden Eidechsen, Spitzmäuse, Käfer und viele anderen Tiere als „Schädlingsbekämpfer“ zum stabilen biologischen Gleichgewicht auch in der Obstwiese beitragen, wissen und verstehen die Erwachsenen. Das genügt. Auch dass Wildbienen zum Brüten am liebsten in faulenden Holzteilen der Trockenmauern ansässig werden und dass Schwebefliegen, Schlupfwespen und Marienkäfer besonders von gewissen Pflanzen angezogen werden, ist dem kleinen Jakob noch zu viel Information, mit der er noch nicht viel anzufangen weiß. Damit wird er sich später mal beschäftigen. Aber auch er weiß bereits – und das hat ihn sein Vater Marcel als Imker gelehrt – dass so ein „wilder“ Weg gut für die Natur und uns Menschen ist. Dieses Wissen hat auch Klaus von der Forstbehörde bereits zwei Volksschulklassen aus Schlanders genau am Beispiel dieses Weges vermittelt und sie fleißig mithelfen lassen. Artenvielfalt und abwechslungsreiches Ökosystem bedeutet dabei nicht ewig unkontrollierter Wildwuchs. „Zu Beginn kann es eine Zeit lang durchaus sinnvoll sein, mal gar nichts zu tun und die Natur loslegen zu lassen. Allerdings verfolgen wir konstant was passiert. Wir werden einige neugesetzte Pflanzen voll austreiben lassen, andere etwas zurückschneiden. Grundsätzlich müssen wir geduldig sein und beobachten. Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, so Klaus.

Alles braucht seine Zeit, doch sind sich Gemeinde, Forstbehörde, Bauern und Imker überall so schnell über die Sinnhaftigkeit einer Sache einig wie in Schlanders, dann holt sich die Natur zügig Räume des Glücks zurück, die sie geschickt für sich und die Menschen zu nutzen weiß.

„Wenn alle zusammenarbeiten, sind diese ökologischen Nischen schnell angelegt, entfalten aber eine Wirkung, die über Jahre anhält“, so Monika von der Gemeinde in ihren Dankesworten an alle Beteiligten.

Nach der erfolgreichen Neugestaltung des Weges ruhen die Rechen, Schaufeln und Pickel vorerst wieder. In die neuen Trockenmauern ziehen schon die ersten Eidechsen und Insekten ein, Vögel landen bereits drauf und freuen sich über ihren neuen Aussichtspunkt, der seltene Vinschger Regen beträufelt den frisch gesetzten Blühstreifen, damit die Samen aus Wilder Petersilie & Co. keimen können. Neues Leben kehrt wieder dort ein, wo es verschwunden war.
 

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