Mattia ist 13 Jahre alt. Seit dem Kindergartenalter begleitet er regelmäßig seinen Opa Roland, wenn dieser verschiedenen Tätigkeiten in seiner Vinschger Apfelwiese verrichten muss. Bei diesen gemeinsamen Ausflügen zur Obstanlage schenkt Roland seinem Enkel ungeteilte Aufmerksamkeit. Diese Geborgenheit erwidert Mattia mit viel Liebe und Neugier auf die spannenden Geschichten seines Großvaters. Als Vinschger Apfelbauer, der integrierten Anbau betreibt, weiß Roland so manches zu erzählen. Er ist für Mattia aber nicht nur Geschichtenerzähler und Spielkamerad, sondern auch Diskussionspartner. Allgemein könnte man Mattia als sehr zurückhaltend und ruhig beschreiben, doch bei Opa Roland ist das anders. Bei ihm lebt sich Mattias Neugier voll aus und sein Opa darf zu unzähligen Fragen rund um Flora und Fauna in der Apfelwiese Rede und Antwort stehen. Mattia beobachtet gerne, viele Fragen beantwortet er sich dadurch selbst, bei anderen sucht er die weiterführenden Erklärungen seines Großvaters. Roland fördert schon seit Jahrzehnten nachhaltige Maßnahmen in seinen Apfelwiesen, doch die schönsten Maßnahmen stammen wohl von Enkel Mattia. Dieser hat schon im Vorschulalter das komplexe Ökosystem von Opas Wiese durchschaut. Dass dieser Lebensraum verschiedenste Organismen im und oberhalb des Bodens beherbergt und Heimat für Pflanzen und Tiere ist, das hatte ihm sein Opa gezeigt. Doch dass diese Lebewesen alle voneinander abhängen und inwiefern das so ist, das hat Mattia selbst rausgefunden. Desto mehr gefällt es Mattia, in das bunte Treiben zwischen den Lebewesen einzugreifen, um es noch lebendiger zu gestalten.
„Ich liebe es, Honigbienen, Wildbienen, Hummeln und Vögel zu füttern. Das gelingt mir am besten mit einigen Blumen, die ich mit selbst gesammelten Samen heranziehe“, erklärt Mattia und zeigt dabei auf die prächtigen Büsche voll von Blumen der Sorte Cosmea. Sie werden auch Schmuckkörbchen genannt und führen jede Apfelbaumreihe seines Opas ganz vorne an. Ihre Blütenfarbe variiert je nach Sorte: weiß, rosa, rot und sogar Töne von lila. Ein echter Blickfang, vor allem im Sommer, wenn die werdenden Äpfel noch zu klein sind, um aus dem satten Grün ihres eigenen Laubes optisch hervorzustechen. Mattia vermehrt seine Blumen fast immer selbst. Dazu sammelt er jedes Jahr die Samenkapseln aus den Blüten der Pflanzen. Im Frühjahr macht er zu Hause die Aussaat in kleinen Yoghurtbechern und sobald kleine Pflanzen herangewachsen sind, setzt er diese Jahr für Jahr vor die Apfelreihen seines Opas. Er begleitet alle seine Blumen so lange, bis sie selbst stark genug sind, um ihren Weg hinauf zur Vinschger Sonne zu wachsen. Ähnlich geht Mattia mit den Samen der Sonnenblumen vor.
„Bevor die Vögel im September alle Kerne aufgefressen haben, sammle ich noch genügend davon ein und bringe sie für den Winter in Sicherheit. Aus ihren Samen werden im Frühjahr besonders große Pflanzen. Auch die Sonnenblumen sind für Bienen und Hummeln das reinste Schlaraffenland, weil sie ganz viel Pollen und Nektar produzieren“, berichtet Mattia stolz.
Bei den Dahlien wird es schon etwas komplizierter. Bei diesen gräbt Mattia im Herbst sogar die Knollen aus und setzt sie im Frühjahr wieder ein. Alle Blumen, die Mattia für seine Insekten und Vögel mit Wasser und Liebe pflegt, haben etwas gemeinsam. Sie blühen nicht nur wenige Wochen, sondern über Monate und schenken dadurch Futter für einen langen Zeitraum. Darauf ist er besonders stolz, da Opas Apfelblüten ja „nur für wenige Wochen“ während der Apfelblüte im April Nahrung spenden. Seine Blumen hingegen sind farbenfrohes Buffet für Insekten und Vögel bis in den Herbst hinein. Bei der Sonnenblume geht der Spaß sogar weiter: Sind ihre Blüten einmal verblüht, sind ihre Kerne richtig reif und ziehen viele Singvögel an.
„Ja, auch Singvögel. Nicht nur Amsel und Drossel haben was davon, sondern sogar Meisen und Stieglitze. Die picken dann im Herbst auch gerne die Äpfel meines Opas an, weil sie Durst haben, nachdem sie die vielen trockenen Sonnenblumenkerne vernascht haben.“
Aber Opa Roland ist darüber nicht böse, denn meistens picken die Vögel nur die ersten Äpfel direkt hinter den Sonnenblumen an. Die Früchte in der Mitte der Reihe werden in Ruhe gelassen. Sobald die Äpfel dann erntefrisch und richtig süß und saftig sind, sind alle Sonnenblumenkerne längst schon aufgefressen und naschsüchtige Vögel machen sich in der Apfelwiese dann eh rar. So als hätte Mattia sein Blütenmeer direkt auf die Bedürfnisse seines Opas und dessen Äpfel abgestimmt.
In den Apfelreihen seines Großvaters wachsen die beiden begehrten Sorten Ambrosia und Envy. Letztere sind erst im November reif und schmücken mit ihrer prächtig dunkelroten Farbe die gesamte Apfelwiese, genauso schön wie es die vielen Blumensorten von Mattia in den Monaten zuvor tun.
Mattias Tatendrang in Opas Wiese ist viel mehr als nur ein buntes Hobby, seine Blumen sind Jungbrunnen für die vielen Lebewesen in der Apfelwiese und für seinen Opa Roland. Sobald die Sonnenstunden im Herbst abnehmen und die Temperaturen fallen, träumt Mattia schon vom Frühling. Imker werden es sich mit ihren Bienenvölkern wieder in den Vinschger Apfelwiesen gemütlich machen und die ausgedienten Winterbienen mit frischen Jungbienen ersetzen. Gleichzeit wird Mattia wieder seine Jungpflanzen vom Topf in Opas Apfelwiese umsetzen und ungeduldig darauf warten, bis die Bienen wieder dicke, gelbe Pollenhöschen tragen. „Sie füllen sich schnell, wenn sich die Bienen zuerst bei den Apfelblüten meines Opas und später dann bei meinen Schmuckkörbchen, Sonnenblumen und Dahlien bedienen.“
Manchmal machen sogar schaulustige Touristen mit dem Auto halt und fotografieren die bunte Pracht von Samensammler und „Bienenfütterer“ Mattia. Eigentlich müssten sie zweimal pro Tag für Fotos kommen, denn die Sonnenblumen schwenken ihren Kopf im Tagesverlauf von Ost nach West. Sie richten sich immer zur Vinschger Sonne hin aus und auch die Bienen und Hummeln in der Apfelwiese müssen sich bei ihren Landemanövern darauf einstellen. Vormittags so, nachmittags anders.
Mattia und seine Bienen wissen bestens Bescheid, die Gabe der Beobachtung hat er schließlich von seinem Großvater geerbt. Seine bedingungslose Liebe zur Natur ebenso. Denn im Vinschger Apfelparadies fällt der Apfel nicht weit vom Stamm.